engel wider die eindeutigkeit

Einleitung

Im Kontext der Queer Theorie verschieben sich politische Kämpfe um die gesellschaftliche Organisation der Sexualität vom Fokus auf Identitäts- und Minderheitenpolitiken hin zur Entprivilegierung und Destabilisierung der Heterosexualität. Es wird davon ausgegangen, dass die normativ heterosexuelle Ordnung nicht allein Subjektivitäten, Beziehungsformen und Begehrensrelationen, sondern gesellschaftliche Institutionen und Organisationsformen strukturiert. (9)

Eine entscheidende Prämisse dessen, was ich im Folgenden als ein queer/feministisches Projekt gesellschaftspolitischer Transformation entwerfen möchte, lautet, dass zwischen hierarchischer Geschlechterdifferenz und normativer Heterosexualität ein gegenseitiges Konstituierungsverhältnis besteht. Hiermit ist eine Arbeitsteilung in Frage gestellt, die feministischen Ansätzen die analytische Kategorie Geschlecht und queeren Ansätzen die Kategorie Sexualität zuweist, da mittels einer solchen weder die Heterosexualisierung von Geschlecht noch die Relevanz der Geschlechterhierarchie für die soziale Organisation von Sexualität theoretisiert werden können. (10)

Auf diesem Hintergrund soll gefragt werden: Wie lassen sich Repräsentationen von Geschlecht und Sexualität entwickeln, die diese nicht immer wieder in die Raster heterosexueller Norm und binärer Vergeschlechtlichung zurückverweisen? Wie können Darstellungen von Körpern der permanenten Referenz auf die Alternative maskulin oder feminin entkommen? Wie funktionieren queer/feministische Repräsentationen so, dass sie nicht als "das Andere" stillgestellt werden, wohl aber dominante Darstellungs- und Wahrnehmungsraster in Bewegung bringen? Und inwiefern greifen diese Repräsentationen in die Bedingungen kultureller Intelligibilität und sozialer Lebbarkeit ein? (18)

Politische Veränderung muss sich auf die beiden miteinander verwobenen Machtprozesse der Hierarchisierung und Normalisierung gleichzeitig richten. Was heißt es also, Handlungsmächtigkeit und Transformationspraktiken aus der paradoxen Situation zu entwickeln, dass Prozesse der Ausschließung aus politischer Gestaltungsmacht und der Integration in hegemoniale gesellschaftliche Verhältnisse Hand in Hand gehen? (21/22)

I. Destabilisierungen der Heteronormativität

Was bedeutet dieses Konzept einer Gleichzeitigkeit von rigider Normativität und flexibler Normalisierung qua Individualisierung im Hinblick auf Geschlechterdiskurse und -praktiken? Es ermöglicht zu erfassen, dass diverse geschlechtliche und sexuelle Lebensformen weiterhin sozialen Ausgrenzungen und sogar Verwerfungen unterliegen, also nur als deviant, pathologisch, kriminell oder innerhalb hegemonialer Vorstellungsmuster gar nicht zu verstehen sind. Trotzdem kann auch die Flexibilisierung von Geschlecht und Sexualität sowie die toleranzpluralistische Integration in den kapitalistischen Markt oder in kulturelle Formen als Ausdruck der Normalisierung von Bevölkerungen in spätmodernen Gesellschaften benannt werden. (77/78)

Im Anschluss an diese Überlegungen, und das heißt, im Hinblick auf sich verstärkende Individualisierungtendenzen, erscheint es mir notwendig, eine Pluralität oder Pluralisierung der Normen zu denken. Zumindest für spätmoderne westliche Gesellschaften kann nicht länger davon ausgegangen werden, dass eine einheitliche Norm, einem Modell des Sieges folgend, sich durchsetzt oder dominant würde. Vielmehr organisieren verschiedene, durchaus konfligierende Normen das gesellschaftliche Feld. (79)

Mit jeder Reartikulation ist jedoch auch eine potenzielle Veränderung gegeben, denn nichts kann garantieren, dass die Wiederholung genau wie ihre Vorgängerin ausfällt. Über die Konzepte der Reartikulation bzw. der Performativität wird ein Moment der Kontingenz und der offenen Zukünftigkeit in die Herrschaftsverhältnisse eingeführt. Diese ermöglichen, politische Veränderung als einen prinzipiell offenen Prozess der Aushandlung und nicht als von historischen oder strukturellen Gesetzen vorbestimmten Verlauf zu verstehen. Das heißt nicht, dass deshalb eine Strukturiertheit der Herrschaftsverhältnisse unbenennbar würde, jedoch verändert sich das Verständnis von Struktur. Traditionelle Herrschafts- und Emanzipationstheorien fassen Gesellschaft als eine Totalität, in der eine vorbestimmte Struktur (womöglich entlang einer singulären Achse, z.B. 'Klasse' oder 'Geschlecht') eine Opposition von Herrschaft und Unterdrückung sowie den Prozess der Befreiung definieren. Im Gegensatz dazu wird Struktur im Konzept der Hegemonie über die Momente der Zeitlichkeit und der Kontingenz bestimmt. (91)

Auch hier deutet sich die Möglichkeit an, dass neue, bislang unbekannte Formen der Identität im sozialen Raum erscheinen können [...] Denn wenn Subjekte die Geschichte ihrer Identifizierungen sind, die sehr wohl heterogen und widersprüchlich sein können, und diese Geschichte sich in fortdauerndem Wandel befindet, dann kann das Auftauchen neuer Namen im Sozialen auch neue Gelegenheiten zur Identifizierung eröffnen. Der Name bildet in diesem Falle nicht bereits Gegebenes ab, sondern fungiert als Anlass der Transformation der Geschichte der Identifizierungen. Damit beinhaltet der Name, oder wie ich vorschlage, die Repräsentation, eine antizipative Dimension. Diese Argumentation erlaubt mir die These zu verfolgen, dass geschlechtliche und sexuelle Existenzweisen [...] über die Prozesse der Signifikation eine offene Zukünftigkeit erfahren, der auch die Binarität der Geschlechter nicht entkommt. (93)

II. Die différance der Identität unterläuft Binarität

Differenzrhetoriken sind ein wichtiges Instrument politischer Auseinandersetzungen, ebenso wie Differenzierungspraktiken entscheidend zur Organisation des Gesellschaftlichen beitragen. Dies ist ein Gemeinplatz, solange nicht in Betracht gezogen wird, dass 'Differenz' hierbei in sehr unterschiedlicher Weise zum Einsatz kommt: Differenzen werden herbeibeschworen oder geleugnet, stigmatisiert oder gelobt, hergestellt oder bekämpft, werden zur Absicherung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen ebenso eingesetzt wie zu deren Anfechtung. Diese heterogenen und widerstreitenden Artikulationen verweisen auf die Vieldeutigkeit und Kontextgebundenheit dieses Begriffes. Offenbar ist es bedeutsam, wie und nicht alleine dass von Differenzen gesprochen wird. Dies zeigt sich auch im queeren Feld, wo Strategien der Affirmation und Strategien der Abschaffung von Differenz aufeinandertreffen: Queer steht für ein selbstbewusstes Aneignen der eigenen "Andersheit", für eine Haltung, die nicht länger geneigt ist, sich an der heterosexuellen "Normalität" auszurichten: 'we are here, we are queer - get used to it', wie ein aktivistischer Slogan es fasst. Queer steht auch für Kämpfe gegen Zuschreibungen von Differenz. Differenzen werden als Herrschaftseffekt analysiert, deren Hervorbringung die Funktion habe, die Normalität in ihrer unmarkierten "Evidenz" zu bestätigen: 'deconstruct heterosexuality first', lautet ein anderes Motto. (96)

Dennoch gilt es zu fragen, wie Differenzierung und Hierarchisierung miteinander verknüpft sind und ob es keine nicht-hierarchischen Anordnungen von Differenz gibt. (101)

Was [...], wenn der Gedanke eines deskriptiven Ideals oder einer Referenzialität von Sprache aufgegeben und der Fokus auf die Produktivität, Viel- und Uneindeutigkeit von Signifikation, Repräsentation und Subjektivität verlagert wird? Was heißt es, die transformatorischen Potenziale von Polysemie und Ambiguität auszuloten, zu zeigen, dass sie kein Hindernis politischer Praxis oder begründeter Entscheidungen sein müssen? Inwiefern kann Subjektivität ohne Referenz auf Identität gedacht werden, sodass es möglich wird, das Identitätsprinzip anzufechten, das auch dann, wenn die Einheiten noch so provisorisch sind, normative Schließungen legitimiert, Äußerungen auf ihr Gelingen oder Scheitern hin befragt, Repräsentationen in das Raster 'Sinn oder Unsinn' und Subjektivität in die Alternative 'Subjekt oder Abjekt' zwängt. Ich schlage den Begriff der VerUneindeutigung vor, um die Identitätsforderung zu unterlaufen. (107)

III. Repräsentation als Bedeutungsproduktion und Wirklichkeitskonstruktion

Ein entscheidendes Ergebnis semiotischer, diskurstheoretischer und dekonstruktiver Repräsentationskritik inklusive ihrer feministischen Spielarten liegt darin, Repräsentation nicht als Ausdruck oder Abbild einer gegebenen Wirklichkeit zu verstehen, sondern als symbolisch-diskursiven Prozess der Bedeutungsproduktion und Wirklichkeitskonstruktion innerhalb gesellschaftlicher (Macht-)Verhältnisse. Bedeutung gründet demnach weder in einem außersprachlichen Referenten noch in Geist oder Verstand, sondern entsteht aus der Anwendung sprachlicher und sozialer Regeln, Normen und Codes. Als solche ist sie Teil sozialer Wirklichkeit und entfaltet eben dort Wirksamkeit ? nicht zuletzt in Form materieller Effekte. (128)

Wenn, wie dargelegt, zwischen Bedeutungsproduktion und Wirklichkeitskonstruktion kein Ableitungsverhältnis besteht, das Effekte oder Bezüge determiniert, sondern ein dynamischer, vielfach sozio-kulturell gesättigter Zusammenhang, lässt sich dieser im Hinblick auf queer/feministische Repräsentationspolitiken strategisch nutzen oder gezielt beeinflussen? Es kann nicht einfach behauptet werden, dass sich mediale oder künstlerische Repräsentationen, die Geschlecht aus der rigiden Binarität herauslösen, automatisch in Anfechtungen sozialer Strukturen oder Institutionen übersetzen. Doch wäre es politisch gleichermaßen unbefriedigend, diesen Zusammenhang als gänzlich arbiträr zu fassen. Wie lassen sich, so eine der zentralen Fragen dieser Arbeit, die materiellen Effekte konkreter Repräsentationen genauer fassen? Und was heißt es zu behaupten, dass sie als Interventionen in gesellschaftliche Hierarchisierungen und Normalisierungen, Macht- und Herrschaft funktionieren? (132)

Dies sind Fragen nach der Konzeptualisierung von Repräsentation, nach dem Verhältnis von Symbolischem, Sozialem und Gesellschaftlichem, aber auch nach dem Verständnis von KörperSubjektivität und den Prozessen ihrer Konstituierung. Und es sind Fragen nach politischer Praxis und Gestaltungsmacht unter ungleichen gesellschaftlichen Bedingungen. Aus machtanalytischer Perspektive geht es darum, welche Repräsentationen in einem bestimmten sozio-historischen Kontext überhaupt möglich sind, inwiefern sie hegemonialen Normen unterliegen, und wer unter welchen Bedingungen zum aktiv gestaltenden Subjekt der Repräsentation wird. Dies sind Fragen, denen ich mit dem Konzept der 'Repräsentation als Intervention' bzw. einem queer/feministischen Konzept der Repräsentationspolitiken Aufmerksamkeit verleihen möchte. (132/133)

IV. Refigurationen von Geschlecht und Sexualität

Die Infragestellung der Geschlechterbinarität ist Ergebnis einer identitätskritischen, anti-klassifikatorischen theoretischen und politischen Bewegung, die nicht unmaßgeblich von denjenigen getragen ist, die in den Vorgaben rigider Zweigeschlechtlichkeit und normativer Heterosexualität nicht aufgehen und mit normativen Zurichtungen, Diskriminierungen und Verwerfungen zu kämpfen haben. Damit wird die Infragestellung der Geschlechterbinarität jedoch auch Ausgangspunkt antizipativen Denkens und experimenteller Praxis, sei es im Hinblick auf Selbstverständnisse oder Selbstverhältnisse, Beziehungsformen, Lebensweisen, (Selbst-)Repräsentationen oder politische Praktiken. Gerade was Umarbeitungen und Neuentwürfe betrifft, spielen textuelle und visuelle Strategien, Darstellungsformen und Vorstellungsweisen, kurz: Repräsentationen, eine entscheidende Rolle. Die Frage danach, was sagbar, sichtbar und intelligibel wird, stellt sich als eine Frage nach sozio-symbolischen Machtverhältnissen - die als Bedingungen anzunehmen sind, ohne sich ihnen zu unterwerfen. Transformatorische Praxis kann auf das antizipative Potenzial der Repräsentation nicht verzichten; und wenn es normative Formierungen und Ausschlüsse zu umgehen gilt, speist sich dies womöglich aus dem Nicht-Gesagten oder Nicht-Gewussten eines Diskurses, in dem sich die Machtverhältnisse verdichten. (161)

Im Rahmen dieses Kapitels möchte ich nun zwei Felder queer/feministischer Theoriebildung betrachten, die einen Eindruck davon vermitteln, was antizipatives Denken und experimentelle Praxis im Hinblick auf die Veränderung binär-hierarchischer, heteronormativer Geschlechterverhältnisse bedeuten kann. Hierbei rücke ich einmal Sexualität in den Vordergrund und stelle Rekonzeptualisierungen lesbischen Begehrens vor, und einmal fokussiere ich Geschlecht, indem ich mich mit maskulinen KörperSubjektivitäten in lesbischen und transgender Subkulturen befasse. In beiden Fällen gilt es damit umzugehen, dass auch queer/ feministisches Denken den Vorgaben der heteronormativen Ordnung nicht entkommt, sondern herausgefordert ist, mit vorhandenem kulturellem Material und den entsprechenden Wahrnehmungs- und Darstellungskonventionen transformatorisch zu arbeiten. Die Frage ist, ob und wie es gelingt, Repräsentationen von Geschlecht, Sexualität und Begehren zu er/finden, die heteronormative Diskurse überwinden, ohne ihrerseits normative Anforderungen und Hierarchisierungen zu produzieren.

Zwei Strategien des Umgangs mit dieser Herausforderung möchte ich hervorheben und im Verhältnis zueinander diskutieren: eine Aneignung und Umarbeitung binärer, heterosexualisierter Geschlechter- und Sexualitätskonzeptionen sowie deren VerUneindeutigung. [...] Im Verlauf der bisherigen Auseinandersetzungen hat sich gezeigt, dass eine Strategie der Vervielfältigung der Geschlechter dem Identitätsprinzip verhaftet bleibt und nicht geeignet ist, Hierarchisierungen abzubauen, während die Perspektive der Auflösung von Geschlecht einen abstrakten Universalismus befördert, der die Kritik von Machtrelationen wie auch den Kampf für Unterschiedlichkeiten unterläuft. Demgegenüber setze ich auf die VerUneindeutigung als eine gezielt identitätskritische, anti-klassifikatorische und anti-normative Strategie. (163)

V. Repräsentation als Angelpunkt politischer Praxis

Anliegen dieses Kapitels ist es, ein Verständnis kultureller Politiken zu diskutieren, das diese als Interventionen im Sozialen, als Eingriffe in gesellschaftliche Institutionen und strukturell wirksame Machtprozesse fasst, ohne jedoch eine Opposition von Kulturellem und Sozialen oder von Diskurs und Materialität zu forcieren. Ich werde dies anhand einer Debatte bearbeiten, die sich um die Frage entzündet hat, ob es im Kontext sexueller Politiken eher um Anerkennungs- oder um Umverteilungspolitiken gehe, bzw. wie beide Dimensionen zusammenhängen. (197/198)

Möglicherweise gehen queer/feministische Politiken allzu selbstverständlich davon aus, dass die Anfechtung normativer Mechanismen ein Angriff auf dominante Herrschaftsverhältnisse ist? Denn die Destabilisierung und Vervielfältigung geschlechtlicher und sexueller Existenzweisen findet zu einem historischen Zeitpunkt statt, an dem neoliberale Umstrukturierungen ihrerseits die Individualisierung von Subjektivität forcieren. Deshalb schließe ich mich der skeptischen These an, dass sich sozio-politische und ökonomische Herrschaftsformen in spätmodernen, neoliberalen Gesellschaften so verändern, dass sie unterschiedliche geschlechtliche und sexuelle Subjektivitäten sowie queer/feministische Perspektiven integrieren können bzw., sogar noch grundsätzlicher, die Bedingungen ihrer Konstituierung darstellen. Die zunächst aus kritisch-widerständiger Perspektive entworfenen Konzepte der Konstruktion und der Performativität von Geschlecht und Sexualität sind in die neoliberale Individualisierungslogik, die den Einzelnen abverlangt, normalisierende Praktiken und Technologien an sich selbst zu vollziehen, bestens integrierbar. Sie stehen nicht notwendig im Widerspruch zu aktuellen Herrschaftstechniken, die zunehmend weniger auf eindeutige, stabile und naturalisierte Identitäten angewiesen sind. (201/202)

Die Komplexität spätmoderner, neoliberaler Gesellschaften zeichnet sich durch die Gleichzeitigkeit zweier Machtmechanismen aus: einer rigiden Normativität, die den sozialen Raum durch Klassifikationen und Ausschlüsse organisiert, und einer flexiblen Normalisierung, die nach dem Muster der Integration in bestehende gesellschaftliche Verhältnisse verläuft, und über den Mechanismus der Individualisierung neue Hierarchien und soziale Ungleichheiten schafft. Was heißt es politisch, unter diesen Bedingungen gegen diese Bedingungen, also gegen die gleichzeitig-gegenläufigen Normalitätsregime sowie gegen Hierarchien und Privilegien zu kämpfen? Um dieser Herausforderung nicht erneut mit normativen Schließungen zu begegnen, indem beispielsweise ein universeller Wertehorizont oder eine teleologische Perspektive (der Freiheit oder Gleichheit) installiert wird, führe ich die beiden prozessualen Begriffe der Enthierarchisierung und der Denormalisierung ein. Sie sind bewusst so formuliert, dass sie sich jeweils nur in Relation zu konkreten sozio-historischen Situationen des Eingreifens bestimmen lassen, ohne ihrerseits universelle normative Fundierungen oder Ziele zu fixieren. Bezogen auf die konkreten Situationen stellen sie jedoch klare Bewertungskriterien bereit: Sie ermöglichen zu beurteilen, ob mittels einer bestimmten Maßnahme Hierarchien und Normalisierungen verstärkt oder abgebaut werden - und können gegebenfalls Kritik oder Widerstand begründen. (204)

Um auf das Konzept der Repräsentationspolitiken zurückzukommen, möchte ich jetzt fragen: Was ist, wenn Repräsentation nicht als Ausdruck, Instrument oder Produkt kapitalistischer Verhältnisse verstanden wird? Wie kann Repräsentation als sozialer Herstellungsmodus gefasst werden, der nicht vollständig subsumierbar ist, sondern aus der Eingebundenheit heraus die Regeln und Funktionsweisen hegemonialer Ordnung unterläuft? Ein Herstellungsmodus, der Klassifikationen und Normalisierungen bedient, aber auch ihre Anfechtungen: Antinormativität, VerUneindeutigung, Kollektivierung oder Solidarisierung. (121/122)

VI. Politik als queeres Experiment

Die zunächst reformistisch anmutenden Begriffe der Kritik und der Gestaltung, die sich auch in traditionellen Partizipationsmodellen finden, verändern ihre Bedeutung, wenn die Struktur der politischen Teilnahme selbst sowie ihre unreflektierten ideologischen und institutionellen 'Wahrheiten' zur Disposition stehen. Vor allem aber gilt es damit umzugehen, dass politische Aushandlung und Praxis unter radikal ungleichen Bedingungen stattfinden. Ein entscheidendes Feld der Enthierarchisierung und Denormalisierung sind genau diese Bedingungen gesellschaftlicher Teilnahme und politischer Praxis. Wie und von wo aus kann in diese Bedingungen eingegriffen werden? Wie kann Gestaltung erfolgen, die sich nicht von den Instanzen und Prozessen institutioneller oder staatlicher Politik abhängig macht, die diese ungleichen Bedingungen, nicht zuletzt in Form des Staatsbürgerschafts- und des Personenstandsgesetzes, institutionalisiert? (232)

Demgegenüber setzt ein Konzept der Repräsentationspolitiken darauf, dass Interventionen nicht den Weg institutionalisierter oder autorisierter Politik gehen, sondern an unterschiedlichsten Orten des heterogenen gesellschaftlichen Feldes ansetzen - und doch beanspruchen, auf offizielle Politiken Einfluss zu nehmen. Anliegen ist es, "Irritationen" zu produzieren, die die Bedingungen verändern, entlang derer hegemoniale gesellschaftliche und politische Prozesse funktionieren. 'Bedingungen verändern' heißt, über den Einflussbereich einer konkreten Praxis hinaus wirksam zu werden; heißt, sowohl die direkt involvierten (Selbst-)Verständnisse, (Selbst-)Verhältnisse und sozialen Beziehungen zu verändern, aber damit auch "Fakten zu schaffen" - sei es in Form von Praktiken oder Organisationsformen, Subjektivitäten, Lebensweisen oder medialen Produkten - die die Voraussetzungen institutioneller und staatlicher Politiken verändern. (232)

Solange Geschlecht und Sexualität sozial konstruiert und Momente der Subjektkonstituierung und der Formierung des Sozialen sind, bleiben sie auch dann noch Felder demokratischer Aushandlungen, Kämpfe und Gestaltung, wenn sie als Kategorien sozialer Differenzierung und Hierarchisierung an Relevanz verlieren. Die Herausforderung besteht darin, gesellschaftliche Bedingungen der Teilnahme an diesen Aushandlungs- und Gestaltungsprozessen so zu beeinflussen, dass konkrete Subjektivitäten und Existenzweisen in ihrer konfligierenden Verschiedenheit artikuliert und gelebt werden können. (235)